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Erfahrungsbericht Nospie: Antidepressiva-Entzug / Achterbahn durch die Hölle

Erfahrungsberichte von Betroffenen, die bereits Psychopharmaka abgesetzt haben
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Team PsyAb
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Erfahrungsbericht Nospie: Antidepressiva-Entzug / Achterbahn durch die Hölle

Diesen Erfahrungsbericht verfasste Nospie im Juni 2016 für das ADFD Mit ihrer freundlichen Genehmigung stellen wir ihn euch auch hier zur Verfügung

Hallo ,
hier ist mein Erfahrungsbericht über die ersten 3 Jahre
im protrahierten Entzug.
Vielen Dank nochmal an Murmeline,ohne sie wäre der Bericht nicht
in dieser Form entstanden :hug: !
Ich hätte das garnicht geschafft.
Ich war zu der Zeit,als dieser Bericht entstand ,38 Monate auf Null.



AD-Entzug / Achterbahn durch die Hölle

Erfahrungsbericht Nospie


2006 beendete ich (erfolgreich bis heute) einen Alkoholentzug und begann eine Verhaltenstherapie. Zur Entzugsdeckelung und Stabilisierung verschrieb mir der behandelnde Psychiater parallel das SSRI Citalopram. Er erklärte mir, dass Medikament sei sehr gut erforscht, würde nicht abhängig machen und hätte wenig Nebenwirkungen.

Ich kam zunächst mit dem Citalopram zurecht. Wie lange ich das Medikament nehmen sollte, war niemals Thema. Nach zwei Jahren fühlte ich mich zunehmend schlechter und bekam verschiedene Nebenwirkungen. Inzwischen habe ich andere Betroffenenberichte gelesen und weiß, dass es vielen so ergeht.

Es fand ein Wechsel auf Cymbalta statt und in den nächsten vier Jahren weitere Wechsel (Medikamentenkarusell) auf andere Präperate (Solvex, Paroxetin, Lyrica, Venlafaxin und dann Cipralex) auf die ich alle direkt bei der Umstellung mit starken Nebenwirkungen reagierte. 2012 empfahlt mir der Psychiater, Cipralex abzusetzen. Ich könne meine gewohnte Dosis sofort weglassen oder, wenn ich auf der sicheren Seite sein wolle, von 20 mg auf 10mg gehen, diese Dosis für weitere 3 Monate einnehmen und dann weglassen. Etwa zwei Wochen würden mich leichte Absetzphänomene erwarten.

Da ich bereits 6 Jahre verschiedene Antidepressiva eingenommen hatte, entschied ich mich, meine Dosis in mehreren Schritten von 20 auf 0 über drei Monate abzusetzen. Die ersten 3 Wochen nach 0 ging es mir gut. Dann begann mit Grippesymptomen, Schwäche, Kreislaufproblemen, Übelkeit und Aggressionen das, was als protrahierten Langzeitentzug, ein chronifiziertes SSRI-Absetzsyndrom bekannt ist.

Das erste Jahr
Die 1. Entzugswelle dauerte ca 3 Monate, dann hatte ich ein Fenster bis ein Narkosemittel bei einer OP erneut Symptome massiv triggerte. Die 2. Welle dauerte ca 2. Monate. Die ersten 4-5 Stunden am Tag waren in dieser Zeit am schlimmsten, Kreislaufschwäche, Übelkeit, Panik, ein Hoch und Runter der Gefühle, manchmal im Minutentakt, zittern und frieren. Und immer wieder der Gedanke: Das hört nie auf.

In der dritten Welle hatte ich schlimmste Kopfschmerzen, Nackenverspannungen (wie Krämpfe), Übelkeit, Kribbeln am ganzen Körper und Herzrasen. Nachts hatte ich ganz schlimme Wadenkrämpfe und immer wieder eine furchtbare Mischung aus Verzweiflung und Aggression. Ich hatte Angst verrückt zu werden, ich wollte am liebsten ständig mit dem Kopf gegen die Wand rennen, ich konnte nicht mehr, ich hatte das Gefühl, es wird immer schlimmer, statt besser.

Die vierte Welle folgte auf eine Antibiotikaeinnahme. Ich kam mir vor wie ein Schiffbrüchiger ohne Schwimmweste mitten auf dem Meer und nirgens Land in Sicht. Es gibt nur 2 Möglichkeiten : Schwimmen oder Untergehen.
Und ich hatte das Gefühl ich schwimme schon so lange, ich kann einfach nicht mehr... Es gab Tage, da konnte ich nur im Bett liegen, habe an die Decke gestarrt und ich war total verzweifelt. Ein grauenhafter Albtraum, ich wollte nur noch sterben, um diese Symptome nicht mehr ertragen zu müssen.

Ich bin jetzt allerdings im 38. Monat des Entzuges! Ich bin noch NICHT durch! Ich kann kein normales Leben mehr führen, ich liege seit über 3 Jahren praktisch die meiste Zeit auf dem Sofa und bin meistens unfähig, meinen Alltag zu bewältigen oder an einem sozialen Leben teilzunehmen. Ich habe als freischaffende Künstlerin gearbeitet und lebte von meiner kreativen Produktivität, aber seit ich im Entzug bin, ist mir das nicht mehr möglich. das ist schrecklich und belastet mich zusätzlich sehr.

Meine Symptome sind u.a. :
Blasenentzündungen, Vulvodynie (seit 26 Monaten durchgängig), Histaminintoleranz, 20 kg Gewichtsabnahme, Kreislaufprobleme, Übelkeit, Schwindel, Herzrasen, Herzstolpern, Sehstörungen, Schlafprobleme/Schlaflosigkeit, Kieferschmerzen, Zahnfleischentzündungen, Nasenbluten, Hautinfektionen, Haarausfall, allgemeine Schwäche, Krankheitsgefühl, Brainfog, Muskelschmerzen, Gelenkschmerzen, Muskelkrämpfe, Muselzuckungen z.B. am Auge, anfangs Halluzinationen, extremes Überforderungsgefühl, Geräusch-und Geruchsüberempfindlich, extreme Unruhezustände.

Ich habe oft das Gefühl in meinem eigenen Körper eingesperrt zu sein und nicht rauszukönnen, in einem Körper, der mich langsam zu Tode foltert. Man kann es garnicht beschreiben. Es ist ein Kampf ums Überleben.

Zunächst habe ich noch Hilfe bei meinen Ärzten gesucht. Dort bekam ich keinerlei Verständnis dafür, dass all diese neuen, erstmals auftretenden Symptome offensichtlich mit der jahrelangen Einnahme verschiedener Psychopharmaka und dem schnellen Absetzen zusammenhängen.

Alles was meine Ärzte dazu sagen können ist: Das gibt es nicht! Das kann nicht sein! Das habe ich noch NIE gehört!
Das ist Ihre Grunderkrankung! Ignorieren Sie das einfach!

Ich habe diverse Untersuchungen hinter mir, u.a. wurde das Herzrasen und Herzstolpern abgeklärt. Es gibt keine Diagnose, keinen Grund für diese Empfindungen, organisch sei alles in Ordnung. Gleiches bei den ständigen Blasenproblemen, die sich nicht als Blasenentzündung in den Werten nachweisen lassen, aber sich dauerhaft so anfühlen.

Das Antidepressivum hat mir zunächst nach dem Alkohol-Entzug geholfen, das Problem ist allerdings, dass ich den Teufel mit dem Belzebub ausgetrieben habe. Was ich im Entzug der Psychopharmaka erlebe ist für mich so viel schlimmer als der Entzug vom Alkohol. Der Alkoholentzug erscheint mit im Rückblick ein Spaziergang im Vergleich zu den Zuständen, die mich im SSRI-Entzug mattsetzen.

Unterstützung erhalte ich ausschließlich von Betroffenen aus Foren (ADFD, Surviving Antidepressants), denen es genauso ergeht wie mir. Ich werde nie wieder echtes Vertrauen zu einem Arzt haben. Ich vermeide es, zu Ärzten zu gehen.

Nach drei Jahren im Entzug kann ich sagen: Die Wellen haben sich verändert, sie sind kürzer. Ich weiß nicht mal wirklich, ob sie leichter sind, denn: In dieser Zeit ist immer das Gefühl da, dass es niemals endet und alles genauso schlimm ist wie immer. Mir fällt immer wieder auf, dass man diesen Entzugshorror nicht in Worte fassen kann, man ist wirklich sprachlos, es gibt keine Worte dafür.

Aber ich muß heute nicht mehr den ganzen Tag auf dem Sofa liegen. Und: Ich habe immer öfter das Gefühl: Ich werde irgendwann wieder gesund. Das Problem ist, dass die Heilung nicht linear verläuft und es immer wieder schlimme Abstürze gibt. Ich wundere mich immer wieder, was man alles aushalten kann.

Wenn ich diesen Entzug geschafft habe, kann ich nur sagen: Ich habe es knapp überlebt!!!
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Re: Erfahrungsbericht Nospie: Antidepressiva-Entzug / Achterbahn durch die Hölle

Update von Nospie - Dezember 2021:

Ich hatte ja diesen unglaublichen Rückschlag August/ September 2016.
Nach einer geringen Dosis B12 (über Nacht).
Ich hatte schlagartig Symptome,die ich eigentlich bei einem Akut Cold tukey
erwartet hätte.

Fast 3 Monate totale Schlaflosigkeit(das war vorher kein Thema),Brain Zaps(die ich noch nie hatte!) und vieles mehr.
Todesängste(Terror-es ist nicht anders zu nennen!),die Bettdecke fühlte sich bei jedem Atemzug an wie Schmiergelpapier,grauenhafte Halluzinationen usw.
Außerdem sind die Unverträglichkeiten durch die Decke gegangen plus
Unverträglichkeiten von Weichspüler,Cremes,Zahnpasta-praktisch allem,was man auf die
Haut bringt.Egal ob bio,mit oder ohne Konservierung,mit oder ohne Duftstoffe.
Ach ja - und auf neue Klamotten !

Ich habe nach 2 Monaten nur noch ca 43 kg gewogen-
da habe ich das erste Mal in dieser ganzen Zeit gedacht:Das überlebe ich nicht!
Ich habe massive Probleme mit dem Zahnhalteappart,zumindest sind Zähne locker.
Wetterwechsel sind heftig,die kalte Jahreszeit triggert.
Die Wahrnehmung ist in schlechten Zeiten verschoben und ich frage meinen Mann immer wieder
das Gleiche.

Momentan habe ich starke Muskelverspannungen,echt heftig (z.B Brustmuskulatur-das hatte
ich noch nie).
Vulvodynie immer noch-schwankend,das hängt mit der Histamin/Salicylatintoleranz zusammen.
Zumindest geht Schlafen wieder besser,ich muß um alles was das Immunsystem und Nervensystem
stimmuliert/aktiviert einen großen Bogen machen.

Ich war bei einer HP,dort wurde ein Stuhltest gemacht:vermehrt histaminbildende Mikrooranismen/zuviel Histamin.
Na ja,das wußte ich auch so - nur werde ich keine Probiotika nehmen-das ist mir zu heiß,die Erfahrungen allgemein zu schlecht.Zumindest kein Leaky gut,diese Werte waren gut.
Es gab auch positive Sachen,wenn es mir im Sommer besser geht,also nicht alles gruselig ;) .
Meine Haare wachsen wieder normal nach (die waren teilweise sehr dünn),sogar zu schnell.
Ich brauche keine Brille mehr(nur noch die Lesebrille).Lebensmittel immer noch extrem schwierig.


Ich wollte eigentlich nicht mehr in Foren schreiben (teilweise schlechte Erfahrungen-"gute" Ratschläge usw,das triggert bei mir übel-geht garnicht,ich bin schon so lange "dabei"-ich weiß schon,was ich tue-oder auch nicht tue.Und wenn mal was ist-dann frage ich :-) ).
Aber es geht hier nicht um mich-es geht um soviele andere,die auch schwer betroffen sind und viele Jahre leiden.
Sie sollen sich nicht alleine fühlen,falls sie überhaupt noch mitlesen (viele ziehen sich komplett zurück-das hat auch Vorteile.....)

Das schlimme an dem Rückschlag war,dass ich meinen Optimismus verloren habe-ÜBEL !
Aber es geht weiter.
Ich werde ab und an mal reinschauen und ein Update hierlassen :group: .
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