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Artikel: Langzeitfolgen einer Benzodiazepin-induzierten neurologischen Dysfunktion: Eine Umfrage (Ritvo et al.)

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Artikel: Langzeitfolgen einer Benzodiazepin-induzierten neurologischen Dysfunktion: Eine Umfrage (Ritvo et al.)

Orginalstudie:
Long-term consequences of benzodiazepine-induced neurological dysfunction: A survey
Plos One, 29. Juni 2023


Langzeitfolgen einer Benzodiazepin-induzierten neurologischen Dysfunktion: Eine Umfrage. (Alexis D. Ritvo, D. E. Foster, Christy Huff, A. J. Reid Finlayson, Bernard Silvernail, Peter R. Martin)


Diese aktuelle Arbeit zielte darauf ab, Symptome und unerwünschte Lebensereignisse im Zusammenhang mit der Einnahme von Benzodiazepinen zu untersuchen. Dafür nutzen die Forscher die Daten einer früheren Online Umfrage unter Benzodiazepin-Konsumenten.


Die Forscher fassen ihre Arbeit folgendermaßen zusammen:
Teilübersetzung:

Abstract:


Hintergrund:
Ein akuter Benzodiazepin-Entzug wurde bereits beschrieben, aber die Literatur über die Benzodiazepin-induzierte neurologische Schädigung, die zu anhaltenden Symptomen und Auswirkungen auf das Leben führen kann, ist spärlich.

Ziel:
Wir führten eine Internet-Umfrage unter aktuellen und ehemaligen Benzodiazepin-Konsumenten durch und fragten nach ihren Symptomen und unerwünschten Lebensereignissen, die auf den Benzodiazepin-Konsum zurückzuführen sind.

Methodik:
Dies ist eine Sekundäranalyse der größten derartigen Umfrage, mit 1.207 Benzodiazepin-Anwendern aus Benzodiazepin-Selbsthilfegruppen und Gesundheits-/Wellness-Websites, die an der Umfrage teilgenommen haben. Zu den Befragten gehörten Personen, die noch Benzodiazepine einnehmen (n = 136), sich im Prozess des Ausschleichens befanden (n = 294) oder vollständig abgesetzt hatten (n = 763).

Ergebnis:
In der Umfrage wurden etwa 23 spezifische Symptome abgefragt, und mehr als die Hälfte der Befragten, die unter Energielosigkeit, Konzentrationsstörungen, Gedächtnisverlust, Nervosität, Angst und anderen Symptomen litten, gaben an, dass diese Symptome ein Jahr oder länger anhielten. Diese Symptome wurden oft als de novo beschrieben und unterschieden sich von den Symptomen, für die die Benzodiazepine ursprünglich verschrieben wurden. Eine Untergruppe der Befragten gab an, dass die Symptome sogar nach dem Absetzen der Benzodiazepinen für ein Jahr oder länger anhielten. Auch über nachteilige Folgen für das Leben wurde von vielen Befragten berichtet.

Einschränkungen:
Es handelte es sich um eine Internetbefragung bei der die Teilnehmer selbst ausgewählt wurden, ohne Kontrollgruppe. Bei den Teilnehmern konnten keine unabhängigen psychiatrischen Diagnosen gestellt werden.

Schlussfolgerungen:
Viele anhaltende Symptome nach der Einnahme und dem Absetzen von Benzodiazepinen (Benzodiazepin-induzierte neurologische Dysfunktion) wurden in einer großen Umfrage unter Benzodiazepin-Anwendern gezeigt. Benzodiazepin-induzierte neurologische Dysfunktion (BIND) wurde als Begriff vorgeschlagen, um Symptome und damit verbundene nachteilige Auswirkungen auf das Leben zu beschreiben, die während der Einnahme und dem Ausschleichen von Benzodiazepinen auftreten können und nach dem Absetzen von Benzodiazepinen anhalten können. Nicht alle Menschen, die Benzodiazepine einnehmen, entwickeln BIND, und die Risikofaktoren für BIND müssen noch geklärt werden. Weitere pathogene und klinische Studien zu BIND sind erforderlich."
Einige Ergebnisse im Detail:

Am häufigsten berichtete Nebenwirkungen:
  • Angstzustände, Nervosität oder Furcht (88,1 %)
  • Schlafstörungen (86,9 %)
  • niedrige Energie (86,2 %)
  • Konzentrationsschwierigkeiten/Abgelenktheit (85,3 %)
Von den in der Umfrage gemeldeten Symptomen hielten 76,6 % mehrere Monate oder länger an.

Symptome, die bei mehr als der Hälfte der Befragten ein Jahr oder länger anhielten:
  • geringe Energie (59,9 %)
  • Konzentrationsschwierigkeiten (58,3 %)
  • Gedächtnisverlust (57,5 %)
  • Angst/Nervosität (57 %)
  • Schlafstörungen (56,4 %)
  • Licht- und Geräuschempfindlichkeit (54,3 %)
  • Verdauungsprobleme (52,2 %)
  • Durch Essen und Trinken ausgelöste Symptome (52 %)
  • Muskelschwäche (51,2 %)
  • Körperschmerzen (50,7 %)
Tabelle 1: Von denjenigen, die über die folgenden in der Tabelle aufgeführten Symptome berichteten, gab mehr als die Hälfte der Befragten an, dass das Symptom ≥ 1 Jahr anhielt

Die Forscher führen dazu aus, dass die genannten Symptome bei allen Befragten auftraten, unabhängig vom Stand des Ausschleichen und der Verschreibungsursache. Die Befragten, die zum Zeitpunkt der Umfrage die volle Dosis einnahmen, gaben die wenigsten Symptome an, mit geringen Unterschieden zwischen denjenigen, die am ausschleichen waren und denjenigen, die bereits abgesetzt hatten.
"Die anhaltenden Symptome nach der Einnahme von Benzodiazepinen, dem Ausschleichen oder dem Absetzen von Benzodiazepinen stimmten jedoch häufig nicht mit dem Grund überein, aus dem die Benzodiazepine ursprünglich verschrieben wurden."
Siehe Tabelle 2: Anteil der Befragten, bei denen ein langanhaltendes Symptom auftrat, für das die Benzodiazepine ursprünglich nicht verschrieben wurden.


Negative Auswirkungen auf das Leben:
90 % der Befragten führten eine oder mehrere negative Auswirkungen für ihr Leben auf den Konsum von Benzodiazepinen zurück:
  • Erhebliche Beeinträchtigung ihrer Ehe oder Beziehungen (56,8 %)
  • Suizidgedanken oder Suizidversuchen (54,4 %)
  • Kündigung der Arbeitsstelle oder Arbeitsunfähigkeit (46,8 %)
  • Deutlicher Anstieg der Gesundheitsausgaben (40,9 %)
  • Einkommensverlust oder niedrigeres Einkommen aufgrund einer eingeschränkten Arbeitsfähigkeit.(32,6 %)
  • Verlust von Ersparnisse oder Altersvorsorge (26,7 %)
  • Gewalttätige Gedanken oder verübten Gewalt gegen andere (23,5 %)
  • Wohnungsverlust (12,6 %)
  • Verlust ihres Geschäft (8,4 %)
  • Entzug des Sorgerechts für ihre Kinder (2,6 %)
Tabelle 3: Spezifische Auswirkungen auf das Leben, korrelierten mit Symptomen, die auf die Einnahme von Benzodiazepinen zurückzuführen waren

Diejenigen Befragten, die eine volle Dosis eines Benzodiazepins einnahmen, verzeichneten tendenziell am wenigsten nachteilige Auswirkungen auf ihr Leben:
Tabelle 4: Unerwünschte Auswirkungen auf das Leben von Personen, die eine Benzodiazepin-Therapie mit voller Dosis erhielten, von Personen, die ausschleichen, und von Personen, die Benzodiazepine vollständig abgesetzt hatten


Negative Auswirkungen auf das Leben ein Jahr oder länger nach dem Absetzen:
Von denjenigen, die das Benzodiazepin seit einem Jahr oder länger abgesetzt hatten, stuften 55,9 % bis 83,6 % der Befragten die negativen Auswirkungen auf viele Bereiche ihres Leben als schwerwiegend oder schlimm ein:
Schwere oder schlimme Probleme mit:
  • Spaß, Freizeit und Hobbys (83,6 %)
  • Arbeitsleben (79,3 %)
  • Soziale Beziehungen, Freundschaften (76,8 %)
  • eingeschränkte Fähigkeit, sich um ihr Zuhause und ihre Angehörigen zu kümmern (72,5 %)
  • Beziehungen zu Ehepartnern und Familie (68,8 %)
  • Probleme beim Fahren oder Gehen (55,9 %)
Tabelle 5: Befragte, die zum Zeitpunkt der Befragung die Benzodiazepine seit mindestens einem Jahr vollständig abgesetzt hatten (n = 426), bewerteten die Schwere der Auswirkungen auf ihr Leben auf einer Skala von 1 bis 6, wobei 6 am schwersten war


Benzodiazepin-induzierte neurologische Dysfunktion (BIND):
Der Begriff "Benzodiazepin-induzierte neurologische Dysfunktion" wurde im Rahmen dieser Studie von einer separat einberufenen Expertengruppe geprägt. Es ging darum, einen Namen für diese anhaltenden neurologischen Folgen von Benzodiazepinen zu finden, der sowohl für Kliniker als auch für Patienten, die an dieser Erkrankung leiden, hilfreich sein kann.

Laut den Forschern beschreibt BIND:
"eine Konstellation funktionell limitierender neurologischer Symptome (sowohl physisch als auch psychisch), die die Folge einer Neuroadaptation und/oder Neurotoxizität infolge einer Benzodiazepin-Exposition sind.
BIND beinhaltet auch beeinträchtigende Auswirkungen auf das Leben".


Einschränkungen:
Die Forscher erkennen mehrere Einschränkungen ihrer Studie an. Die Teilnehmer waren selbst ausgewählt und kamen überwiegend von Online Benzodiazepine Selbsthilfegruppen und sind daher möglicherweise nicht repräsentativ für alle Benzodiazepin-Konsumenten. Es gab keine Kontrollgruppe, daher konnten Benzodiazepin-Konsumenten nicht mit Nichtkonsumenten verglichen werden. Die Ergebnisse basierten ausschließlich auf den angekreuzten Antworten eines Multiple-Choice-Fragebogens und spiegeln daher nicht unbedingt das gesamte Spektrum der Symptome wider, die von den Befragten erlebt werden.

Teilübersetzung:
Schlussfolgerungen:

Während der akute Benzodiazepin-Entzug in der Literatur gut beschrieben ist, ist weit weniger über die oft belastenden und anhaltenden Symptome bekannt, die die Lebensfunktion bei denjenigen beeinträchtigen, die die Benzodiazepine abgesetzt haben oder gerade dabei sind, sie abzusetzen.
Für diese Symptomkonstellation schlagen wir den Begriff Benzodiazepin-induzierte neurologische Dysfunktion (BIND) vor.
Unsere Umfrage zeigt, dass diese Symptome bei einigen Benzodiazepin-Konsumenten schwerwiegend und lebensverändernd sind und nicht selten auftreten. Eine signifikante Untergruppe von Befragten mit BIND berichtete über mehrere und schwere Symptome, von denen viele nicht die Symptome waren, für die die Benzodiazepine ursprünglich verschrieben wurden.
Die Mechanismen von BIND, sein klinischer Verlauf, Risikofaktoren und Behandlungsmodalitäten bedürfen weiterer Untersuchungen.

Quelle: Ritvo AD, Foster DE, Huff C, Finlayson AJR, Silvernail B, Martin PR (2023) Long-term consequences of benzodiazepine-induced neurological dysfunction: A survey. PLoS ONE 18(6): e0285584. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0285584

Die Originalarbeit steht unter einer Creative Common Lizens:
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weitere Artikel zur Studie:
Anhaltende negative Auswirkungen des Benzodiazepin-Konsums in neuer Studie aufgedeckt
auf MIA (auf Deutsch anzeigbar)

Neuropsychologische Störungen durch Benzodiazepine auf Arznei-News

Video (Runder Tisch Diskussion mit dem Forscherteam auf YouTube:
Benzodiazepine-Induced Neurological Dysfunction (BIND) Research Team Roundtable auf Englisch, automatisierte deutsche Untertitel anzeigbar


weitere Studien der Forscher zu der Umfrage:
Experiences with benzodiazepine use, tapering, and discontinuation: an Internet survey
auf Therapeutic Advances in Psychopharmacology, 25.April 2022

Enduring neurological sequelae of benzodiazepine use: an Internet survey
auf herapeutic Advances in Psychopharmacology, 6.Februar 2023
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